Archiv für den Monat: Oktober 2019

Missing

Er war weg. Er war nicht mehr da. Nicht mehr greifbar. Drei Tage und Nächte waren seit dem 23.07. vergangen und ich wusste instinktiv, dass er nicht mehr zurückkommen würde. „Drei Tage sind doch gar nichts, jetzt warte doch erst einmal ab.“ Nein, ich kenne ihn, das ist kein gutes Zeichen. Zuerst die Hitzewelle. Gefolgt von Unwetter. Dann heftiger Regen. Keine Spur von ihm. Die Routine unterbrochen. Um 22:00 Uhr nach draußen und gegen 05:30 Uhr Wiederkehr gab es nicht mehr. Lautes Maunzen vor dem Schlafzimmerfenster, dann Traben bis zum Wohnzimmerfenster. Reinkommen, an mich drücken, lachen über die kleinen Zweige und Kletten in seinem Fell. Dreckige Pfoten und Ohren die so blieben, denn putzen würde er sich nicht. Ich stellte mir vor wie es wäre ohne ihn zu sein und dabei war er vor kurzem erst 5 Jahre alt geworden. Hatte ich mir sein Verschwinden herbeigeredet? Herbeigedacht? Heraufbeschworen? „Du übertreibst, es ist doch nur ein Kater. Du tust so, als wäre er ein Mensch.“ „Ich bin eben traurig.“ Und für mich ist er wie ein Kind.

Sein Verhalten wenn er nicht rausdurfte, was ich aus Angst und Sorge oftmals zu verhindern versuchte. Zuerst aggressiv, dann schwermütig und schließlich trübsinnig. Wie ich ihm dankte dass er mich gerettet hatte, aus meiner Lethargie und Depression. Schwarze Kater und ich, das gehörte zusammen wie ich erkannte. Schämte mich für meine Gefühle nur um im nächsten Moment zornig zu werden. Entschied, mich für meine Gefühle nicht mehr zu rechtfertigen oder das Genick einzuziehen. Wusste nicht wie ich das Nachhause kommen in etwas Schönes verwandeln sollte, so wie es früher gewesen war. Fuhr kopflos durch die Gegend, hoffte ihn zu sehen. Ließ den Rollladen einen Spalt oben. „Warum tust du das?“ „Ich hoffe, dass er wiederkommt und an seinem Fenster um Einlass bittet.“ Weigerte mich, in der Vergangenheit von ihm zu sprechen. War enttäuscht und nahm es persönlich, dass manche Suchplakate noch nicht einmal zwei Wochen lang hängen durften. Nur eine Katze.

Träumte von ihm, hörte ihn schreien, wachte auf, erkannte und realisierte: er war nicht da. Sah Schatten von ihm im Flur, abends nach dem Dämmerschlaf auf der Couch zwischen Traum und Wahrheit, schlaftrunken die Treppen hochtaumelnd. Stellte fest: ich hatte Wahnvorstellungen. Ich sehe Schatten an der Wand, wie Jule Neigel einst sang. Wusste nicht wie ich meinen Zorn und meine Verzweiflung kanalisieren sollte (standen mir diese Empfindungen überhaupt zu?) sagte, ich würde gerne jemanden schlagen. Bildete mir ein, eine bestimmte Person hätte mit seinem Verschwinden zu tun, stellte mir vor wie ich diese mit Fäusten attackierte und bedrohte. Schlich alarmiert und beunruhigt um das Grundstück. Schalt mich eine Närrin, paranoid und verwirrt. Revidierte meine Ansichten über mein Seelenheil sofort, sagte mir, wäre er angefahren worden hätte man zumindest seinen Körper gefunden. Doch er war wie vom Erdboden verschluckt, keiner hatte ihn gesehen oder gehört – und er war nur schwer zu übersehen. Oder zu überhören. Man soll keine Unterschiede machen doch ihn bevorzugte ich vor allen anderen Tieren. Tat dies unwillkürlich wie eine Mutter ein bestimmtes Kind bevorzugte.

Ich weiß: es ist ihm etwas zugestoßen (worden), ich kann es fühlen. Nur leider kann ich nichts tun, nur hoffen, dass er nicht leiden musste.

Dieser Text ist allen gewidmet die jemanden vermissen.