„Es ist mir so schwergefallen, zu euch zu kommen.“
„Noch nie ist es mir so schwergefallen, jemanden anzurufen.“
„Ich wollte ihn ja besuchen, aber weisst du, ich kann das nicht.“
„Nein, ich kann da nicht hin – in Krankenhäusern fühle ich mich nicht wohl.“
„Er konnte seinen sterbenden Vater nicht besuchen, weisst du, der kann das nicht.“
Diese und ähnliche Sätze schwirren seit einiger Zeit in meinem Kopf herum. Klar: hier geht es ohne Umwege zum Thema persönliche Tragödien, Katastrophen, Sterbefälle, Krankheiten. Sachen, die passieren. Passieren können – jedem von uns. Shit happens.
Wenn im Umfeld schlimme Dinge passieren, ist emotionaler Ausnahmezustand angesagt. Was man dann gar nicht gebrauchen kann, sind obige Sätze. Diese, in den Gänsefüßchen. Zeugen sie doch von Egoismus und Selbstsucht, denn hier heißt es immer nur: ICH ICH ICH ICH. Es wird immer nur vom ICH gesprochen. Dabei geht es doch um etwas ganz anderes oder jemand ganz anderen. Sollte man da nicht fähig sein, sich und seine eigenen Gefühle zurückzunehmen? Wenn man nicht weiß was man sagen soll, könnte man eben genau DAS ausdrücken. „Du, ich weiß nicht was ich sagen soll, aber ich wollte eben mal schauen wie es Dir geht und fragen ob ich etwas helfen kann.“ Zum Beispiel.
Flashback: Eine Freundin, deren große Liebe sehr jung starb, erzählte mir was ihr beim Spazierengehen widerfuhr als ihr ein Bekannter entgegenkam:
„Stell dir vor, der hat doch tatsächlich die Straßenseite gewechselt als er mich gesehen hat!“
Was für ein Würstchen!
Ein Familientodesfall bei Bekannten, und die beste Freundin der Mutter reagiert überhaupt nicht:
„Meine Freundin hat sich seither nicht gemeldet, sie weiß einfach nicht wie sie mit mir umgehen soll.“
Freundin? Eine dumme Kuh ist das!
Mir sticht es ins Herz, wenn Trauernde auch noch Verständnis für solch ein Verhalten aufbringen (können). Ich kann das nicht. Ich will es auch nicht. Muss ich jeden Scheiß verstehen? Zum wiederholten Male wird mir „Härte“ vorgeworfen. Warum?
Das Schlimmste ist meiner Ansicht nach, dass man Betroffenen ein Stück Normalität nimmt, indem man nicht grüßt, sich nicht meldet wie gewohnt, anruft oder zu Besuch kommt. Sich einfach zurückzieht, weil „man das nicht kann“. Das Unangenehme, das Nicht-Spaßige, das Nicht-Leichte, das Nicht-Triviale. Das Mindestmaß menschlichen Anstands wäre Kontaktaufnahme, ein „Wie geht es dir, kann ich etwas tun“ oder einfach eine Hand auf die Schulter legen. Völlige Ignoranz bis sich der Sturm gelegt hat finde ich schwach. Wer möchte denn Alleingelassen werden, gerade dann, wenn er Hilfe und Unterstützung braucht? Niemand. Eine Karte tut es auch. (Ja, die handgeschriebenen GEDRUCKTEN Dinger von früher!“)
Vielleicht sollte man sich von Zeit zu Zeit einmal Gedanken darüber machen.
Toller Artikel, deep impressed! Wahre Worte.
Ich kenne solche Reaktionen, musste ich auch schon erleben und will sie nicht verteidigen, aber inzwischen habe ich begriffen, daß diejenigen, die sich so verhalten, damit „nur“ ihre eigenen Ängste vor Tod und Krankheit zum Ausdruck bringen. Sie haben solche Angst, daß sie nur damit fertig werden, wenn sie das Thema ausblenden und sich wegducken. Und sie tun sich damit selbst keinen Gefallen, denn es holt uns alle ein, und wenn wir nicht darauf vorbereitet sind, weil wir es stets verdrängt haben, trifft es uns umso härter.
Da Du, wie es sich anhört, gerade selbst betroffen bist von Trauer und Verlust, wünsche ich Dir viel Kraft und Zuversicht in dieser schweren Zeit. Alles Gute von Jessie
Hi Jessie, danke für deinen Kommentar. Da gebe ich dir recht. Einfach ist es nicht, für niemanden. Man lernt ja auch dazu im Laufe der Zeit, und weiß es kann jeden Tag jeden treffen. Ich habe keinen aktuellen Verlust zu verarbeiten, aber knabbere oft und viel an vergangenen Dingen. LG Steffi