Tabuthema Tod.

Wenn nichts sicher ist auf dieser Welt – eins ist sicher: das Leben endet in 100% aller Fälle tödlich. Patientenverfügung, Testament, letzter Wille, Ablauf der Beerdigung. All das sind keine gängigen Themen für uns. Wir halten uns für zu jung und gesund- und dennoch, wir sollten uns damit auseinandersetzen. Der Tod in einem Modeblog? Hier bin ich auf einen Beitrag gestoßen:

http://www.fabianhart.com/das-letzte-hemd/

Fakt ist, das Thema Tod beschäftigt mich. Nicht täglich, aber immer mal wieder. Wie es der Zufall so will, kenne ich zwei Leute die täglich damit konfrontiert sind. In ihrer Arbeit als Bestatter(in) und Mitarbeiter des Krematoriums. Zeit, zum Gespräch zu bitten. Los geht´s mit Part I.

Martina, wie bist du dazu gekommen bei einem Bestatter anzufangen? Du kommst nicht vom Fach, bist quasi Quereinsteiger und hast eine andere Ausbildung, wie kam es dazu?
Nun, nach der Geburt meiner Tochter und entsprechender Elternzeit konnte ich nicht zurück in meinen alten Bürojob wie ich es gewollt hätte, nur Vollzeit – und das wollte ich nicht. Ich hatte dann verschiedene Jobs und habe vieles gemacht, der Pflicht wegen, halt Geld verdienen. Ich habe aber nie gemacht was ich wirklich wollte.

Ich meine, ein Job kann ja auch Spaß machen. Meinen Chef kenne ich privat seit vielen Jahren und als er uns zuhause besuchte sagte ich mehr flapsig als im Ernst „Mensch, kannst du jemanden brauchen – wir wären doch ein gutes Team!“  Aber nicht nur ein halbes Jahr oder ein Jahr und dann wenn ich es gut kann muß ich wieder gehen und mir was anderes suchen. Ich will in einem Job auch mal alt werden und – es reizte mich. Am nächsten Tag rief er mich an und sagte, er hätte mit seinem Steuerberater gesprochen, er böte mir eine feste Stelle an. Ich war erst einmal geschockt aber nach einem persönlichen  Gespräch fing ich dann 4 Wochen später bei ihm an.

Ich sagte meinem neuen Chef ich könne auf jeden Fall die Büroarbeit machen, die Buchhaltung und alles was damit zusammenhängt. Ob ich allerdings die Verstorbenen berühren könne, ich wusste es nicht. Er sagte mir, „wir fangen ganz langsam an. Das was du tun kannst und willst ist ok, was nicht geht, geht halt nicht. Auch auch in Ordnung“. Ich allerdings wollte es mir selbst beweisen. So nach dem Motto, natürlich kann ich das – und zwar alles. Das hat sich allerdings gerächt. Mein Zusammenbruch kam nach etwa einem halben Jahr,  im Sommer. Ich schlief mit den Gesichtern die ich gesehen hatte ein, und ich wachte damit auf.. ich konnte nicht mehr. Es war zu schnell zu viel.

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Was ist deine tägliche Arbeit, wie gestaltet sich der Ablauf?
Ich führe die Trauergespräche mit den Angehörigen die in unser Institut kommen, helfe ihnen den Sarg oder die Urne und alles was benötigt wird auszusuchen. Wir besprechen den Ablauf der Trauerfeier. Ich bin bei der Abholung der Verstorbenen dabei, im Krankenhaus oder im Altersheim – die Abholung Verstorbener zuhause nicht kann ich körperlich nicht stemmen. Ich helfe beim Waschen, Anziehen und Herrichten. Ins Krematorium fahren, alle Formalitäten rund um die Papiere,  Rathaus, Standesamt, Friedhof, Pfarramt, Gärtner, Todesanzeigen. Bestatter ist inzwischen ein Ausbildungsberuf, man braucht aber nicht zwingend ein Diplom. Meine Berufsbezeichnung ist diese: Mitarbeiterin im Bestattungsdienst.

Gibt es eine Kleidervorschrift für dich, entsprechende Vorgaben was du tragen solltest oder musst?
Nein, es gibt an sich keine Vorgaben in dem Sinne. Ein knallroter Pullover wäre sehr unpassend aber das wäre mir auch nicht in den Sinn gekommen. Im Normalfall trage ich dunkle Kleidung, meist schwarz oder auch mal eine weiße Bluse. Ja, Trauerkleidung, schon.

Geht das Thema mit dir um?
Ich kann nicht sagen, es macht mir nichts aus. Das schon. Mein Problem ist, die Geschichten die ich über die Menschen die wir bestatten erzählt bekomme, die gehen ja nie gut aus. Das heißt, ich werde täglich mit Krankheiten konfrontiert die keinen guten Ausgang genommen haben. Da habe ich einen Stich im Herz und denke, hoppla kriege ich das jetzt auch?? So schnell kann es gehen. Viele Menschen sehe ich gedanklich gar nicht mehr. Aber es war auch schon der Fall dass ich dachte, oh was dieser  Krebs aus einem Menschen machen kann. Wie schnell es gehen kann macht mir ein Stück weit Angst. Wegen meiner Tochter. Da will man das auch nicht wahrhaben.

Hast du Alpträume, nimmt es dich nachts mit ?
Nein. Ich fahre auch nicht mit  klopfendem Herzen zur Arbeit. Ich habe es nicht bereut,  ich war noch nie so entspannt und so ruhig in einem Geschäft. Verarsch mich nicht.. ! Doch echt. Ich muss auch zugeben, ich glaube das ist so eine Art Eigentherapie. Was meinst du? Als mein Vater damals starb. Ich wurde sehr früh mit dem Thema Tod konfrontiert und konnte das nicht so gut verarbeiten. Bis heute nicht. Ich wollte mich mit dem Thema auseinandersetzen.  Deshalb sage ich, es ist ein Stück weit eine Eigentherapie. Jetzt nicht mehr aber als ich dort vor über einem Jahr angefangen habe, mit Sicherheit. Ich wollte etwas über den Tod erfahren. Ich dachte, ich muss alles sehen, erfahren, mitkriegen. Ob es mir guttut oder nicht. Wenn ich so auf mein Berufsleben zurückblicke:  in der einen Firma hat es mir nicht gefallen, ich wollte morgens nicht vom Bett aufstehen. Oder die Knochen haben mir wehgetan, oder ich war Mobbing ausgesetzt –  lauter Extremsituationen. Und jetzt?  Denke ich gar nicht darüber nach wenn ich abends zu Bett gehe und gehe gern zur Arbeit.  Ich mache gern Überstunden – es ist mir nicht zuviel.

Was emfindest du als deine Berufung, als deine Mission?
Das Wichtigste ist, die Verstorbenen als erlöst zu sehen. Sie liegen im Sarg, erlöst, mit einem Lächeln auf den Lippen. Wenn kranke Menschen aus der Intensivstation kommen sieht man ihnen an: sie haben einen Kampf hinter sich. Wenn wir sie fertig hergerichtet haben, da liegen ca. 10 Jahre dazwischen. Das ist kein Witz, sie sehen aus als würden sie schlafen. Ich sage, wir machen den Angehörigen den Abschied so schön wie möglich, und so würdevoll wie möglich. Bevor die Trauerfeier beginnt lassen wir leise die Lieblingsmusik des Verstorbenen im Hintergrund laufen. Und wenn es die Flippers sind, so what? Man darf nicht danach fragen was die Leute dazu sagen, sondern es so gestalten wie es dem Toten zu Lebzeiten gefallen hätte. Auch ganz wichtig, ein persönliches Erinnerungsstück mit auf den letzen Weg geben. Etwas in den Sarg legen, z.B einen Brief, ein Kuscheltier. Die eigenen Klamotten tragen, die Urne selbst gestalten -bemalen (lassen) von den Kindern oder Enkeln.. was viele nicht wissen: das geht!

Man muss den Angehörigen das Gefühl geben, ich habe noch ALLES gemacht was ich habe tun können. Für den Abschied. Am Anfang war ich schon aufgeregt vor den Trauergesprächen weil ich nicht wusste was auf mich zukommt. Ich hatte ein wenig Angst davor. Wie läuft das ab, weinen die Angehörigen vielleicht die ganze Zeit über? Aber oftmals verläuft es positiver als erwartet, viele sind total locker und entspannt, dankbar für meine Hilfe. Aber da gibt es natürlich auch andere, schwierigere Menschen die mir über die Schulter schauen und mich auf Rechtschreibfehler in meinen Notizen hinweisen. Die Gespräche sind wirklich sehr unterschiedlich, gerade wenn junge Menschen verstorben sind und ich mit den Eltern spreche macht mich das sehr betroffen.

Ich sage den Angehörigen, rede mit ihm – er ist noch nicht fort. Er ist noch da. Es dauert 3 Tage bis die Seele den Körper verlassen hat. Man stirbt nicht sofort und ist damit von uns abgeschnitten, sondern in Etappen. Das finde ich wichtig, das ist das was die Angehörigen brauchen – sich mitteilen.

Wir reden nicht über Zahlen, sag mir nur:  ist die Bezahlung deiner Tätigkeit angemessen, bist du zufrieden mit deinem Verdienst?
Ja ist in Ordnung. Ich bin zufrieden.

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Martina, ich könnte das nicht. Mir hat  schon die Sendung „Sido in the Box“ gereicht. Ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen.
Mein Chef hat immer gesagt, glaub mir es wird besser. Und das wird es. Handschuhe an, los geht´s. Mit Erfahrung und Routine wird es anders, wird es besser. Mit den Gerüchen  die sehr unangenehm sein können habe ich zu kämpfen, aber ansonsten. Dafür habe ich Mentholpaste. Am Anfang war mir das etwas unheimlich in der Leichenhalle aber nun nicht mehr.

Hat sich deine Ansicht was Tod und Sterben betrifft verändert, seit du das beruflich machst und deine Einstellung dazu?
Ich mache den Beruf mit Herz. Natürlich macht es mich traurig und nimmt es mich mit , wenn junge Menschen sterben, bei Suizid auch. Ich muss mich dann selbst ausbremsen wenn ich zuviel investiere in die Leute damit ich nicht nur gebe, gebe, gebe. Ich für mich habe die Angst nicht aber zum jetzigen Zeitpunkt ist meine Tochter noch da. Was würde aus ihr werden? Das wäre meine einzige Angst vorm Sterben.

Hast du eine Patientenverfügung? Ein Testament?
Eine Patientenverfügung, ja die habe ich. Testament: nein. Mit meinem Mann habe ich inzwischen über alles gesprochen, dass ich verbrannt werden will z.B. und über die Trauerfeier. Aber erst seit ich beim Bestatter arbeite, vorher war es kein Thema. Sehr schön fände ich das Lied „Air“ von Bach, das ist meins. Auch meine beste Freundin hat nun mit ihren Kindern darüber gesprochen wie es sein soll wenn sie sterben sollte.

Hat der Tod für dich so ein bisschen den Schrecken verloren? Kann man das so sagen?
Ja, da lacht man auch mal zusammen wenn ich zufällig jemanden 3 mal am Tag sehe und derjenige sagt zu mir, „Oh hoppla, du wirst mich doch nicht auch abholen wollen.“ Oder auch,  „Gut dass ich dich sehe, ich habe da ein paar Fragen: was ich schon immer mal wissen wollte…“  Interessant ist auch -ich weiß nicht ob es stimmt- man sagt, das Gewicht der Asche nach dem Verbrennen entspricht dem Geburtsgewicht. Dass man die Urne seines Angehörigen mit nach Hause nehmen kann, wart´s ab das kommt bei uns in Deutschland auch noch. Irgendwann kommt das.

Bist du bei den Beerdigungen anwesend, gehört das dazu?
Nein, ich bin nicht bei jeder Beerdigung dabei, es sei denn mein Chef ist verhindert. Ich dekoriere nur vorher die Leichenhalle. Ich schmücke mit Tüll-oder Samttüchern, stelle Kerzen auf. Ich mache mir Gedanken darüber was der Verstorbene mochte und was zu ihm passt. In Absprache mit den Angehörigen natürlich.  Wir hatten einen Motocrossfahrer, da haben wir z.B. ein  Motorrad in die Leichenhalle geschoben und seinen Helm auf den Sarg gelegt. Es muss für mich passen, zugeschnitten auf jeden Menschen, seine Persönlichkeit, und Hobbies.

Und wenn es ein lindgrüner Sarg sein soll, dann wird der rausgesucht. Wir brauchen überhaupt nicht danach gehen „was sagen die Leute sagen“ – das spielt keine Rolle. Es kommt darauf an was man seinen Liebsten Gutes tun will, wir machen es so dass der letzte Abschied 1000%ig ist – und pfeif drauf was die Leute sagen – Gabalier oder Guns´n Roses – alles ist möglich. Wurde ein letzter Wille aufgeschrieben, ist es das Beste was dir passieren kann. Die Angehörigen haben es dadurch leichter.

050Danke dir Martina, für deine Offenheit!

4 Gedanken zu „Tabuthema Tod.

  1. Ein Thema was mich auch immer wieder und irgendwie seit kurzem sehr oft beschäftigt. Habe deinen Beitrag mit sehr viel Interesse gelesen und bin echt begeistert .. Und hab etwas.Gänsehaut . Gehört wohl auch dazu
    Toll geschrieben

  2. Mit diesem Tabuthema sollte man sich eigentlich öfters auseinandersetzen.
    Dein Beitrag ist super rübergekommen.
    Ganz toll geschrieben, weiter so 🙂

  3. hut ab!! man hat mit viel emotionen zu tun wenn man sich so nah am tot bewegt. diese menschen machen einen wichtigen job und sind notwendig und sinnvoll! artikel super geschrieben!!

  4. Ein Thema, was buchstäblich „tot geschwiegen“ wird sehr gut und mit sehr viel Gefühl thematisiert. Eine tolle Frau, die einen Job macht, wo ich absolut meinen Hut davor ziehe und vollsten Respekt habe. Toll geschrieben!!!

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